Nun sind es schon fast drei Wochen, seitdem ich das kalte Schweden erreicht habe.
Damit mir jeder folgen kann: wir befinden uns in Rättvik, dem tiefsten Mittelschweden. Legt man den Finger auf der Karte auf
Stockholm und fährt dann 300km nach links oben zu einem recht großen See (Siljan), kommt man wohl ungefähr bei mir raus.
Mein Abenteuer begann in Stockholm am Flughafen, wo ich zunächst sehr desorientiert auf der suche nach meinem Gepäck war, und schließlich sehr glücklich und geschafft zu Ricarda und Madeleine ins Auto stieg.
Als es am nächsten Tag von Uppsala nach Rättvik ging, erlebte ich den Herbstbeginn im Schnelldurchlauf: Wir starteten bei 15 Grad und grünen Bäumen, und erreichten nach knapp vier Stunden (inklusive Pizzapause) Rättvik bei Regen, fünf Grad und teils dunkelrot gefärbtem Laub. Rättvik gehört zum traditionellen Teil Schwedens und stellt damit einen für schwedische Verhältnisse recht großen Anlaufpunkt dar. Die umgebende Natur Dalarnas lädt zum campen, fischen, wandern und Fahrradfahren ein; außerdem ist es das Folklorezentrum Schwedens, wie mein Vater mir im Vorherein mehrfach zu berichten wusste.
Erste Eindrücke von Rättvik
Bitte Ruhe!
Wer mich besser kennt, der weiß, dass ich Überraschungen liebe und darum manchmal recht uninformiert an Situationen herangehe. Mir war bewusst, dass es sich beim Stiftelsen Berget um eine ökumenische Christengemeinschaft mit dem Schwerpunkt der christlichen Meditation handelte. Übersetzt bedeutet das: viele Gebetszeiten.
Allerdings war ich doch recht überrascht, als mir mitgeteilt wurde,
dass ich einen Großteil der Zeit sowohl in meinem Wohnbereich, als auch beim Essen schweigen soll.
In Vorbereitung auf meine folgende Auslandsperiode, bestellte ich mir während meines Praktikums auf Helgoland eine etwas zu groß geratene Musikbox, da mir in den kurzen vier Wochen auffiel, dass ich die einfach brauchte. Zu meiner Zimmereinweisung wurde mir dann jedoch erklärt: in meinem Zimmer darf ich nicht telefonieren, nicht reden, keine Musik hören und das WLAN ist blockiert. Für mich als Stadtkind, das manchmal einfach den Lärm um sich braucht, war das auf jeden Fall eine Umstellung. Für alle, die jetzt denken, "um Himmels Willen, wo bist Du da gelandet?": Nicht so voreilig.
Stiftelsen Berget
Ja, es ist eine kontemplative Gruppe. Während der Retreattage kommen Leute aus ganz Schweden und entscheiden sich dafür, drei Tage zu schweigen. Da man mit ihnen in einem Haus lebt und sie nicht stören will, ist es selbstverständlich unangebracht, laut zu feiern oder auf dem Gang zu reden.
Neben den “Suchenden” (viele sind auf der Suche nach Sinn, Ruhe und Gott), die meist für drei Tage bleiben, kommen auch viele Freiwillige, die hier einfach arbeiten wollen. Deshalb geht es hier meist recht interkulturell zu. Es gibt eine Schwester aus Frankreich, momentan einen Priester aus Deutschland, eine Dänin, eine Finnin und das Programm wechselt ständig. Man lernt also auch viele nette Menschen kennen. Dafür geht man am besten in die Küche oder den Medarbedarum.
3 Tage Schweigen
Meine ersten Tage verbrachte ich selber im Retreat, weswegen ich von Donnerstag bis Sonntag keine neuen Leute (außer meiner Mentorin kurz) kennen lernen konnte.
Ich war jetzt also dran, drei Tage zu schweigen.
Das fiel mir durchaus schwer, weil ich gern schnellst-möglich herausfinden wollte, mit wem ich so meine nächsten Wochen verbringen würde. Ich erreichte Rättvik bei kaltem und nassen Wetter und sah schon bald die ersten sympathischen Personen: zum Beispiel einen Schweden, mein Alter, auch frisch mit der Schule fertig und Mitfreiwilliger. Mein Plan, mich draußen zu positionieren, bis er vorbeikam, um ihn anzusprechen, war jedoch in zweierlei Hinsicht hinfällig: ich sollte mich im Schweigen Ausprobieren und er kam wegen des Wetters nicht
heraus.
Am Sonntag ist Stimmung :-)
Der Tag, an dem ich willkommen geheißen wurde, war der Sonntag. Am Vormittag
fuhren alle Teilnehmer der Retreatkurses ab, mit ihnen das Schweigen, und so
wurde die Stimmung recht ausgelassen.
Für meine Bistum-Dresden-Meissen-Leser: sehr vergleichbar mit der unseres für immer geliebten Winfriedhauses. Der Tag ist getaktet durch die Gebete, das Essen ist wirklich lecker, jeder versucht sich mit jedem zu unterhalten (meistens wird es ein multilingualer Mix), es
riecht sogar wie in Schmiedeberg, lediglich die Nachtruhe wird besser eingehalten.
Generell wird also an sechs Tagen der Woche geschwiegen und gearbeitet, und am siebten
Tag, dem Sonntag (und natürlich auch während der Arbeitszeiten) kann man sich ausgelassen unterhalten. Es gibt vier Andachten und eine heilige Messe pro Tag, wenn ein evangelischer Pastor im Haus ist, wird eine Andacht durch eine weitere Messe ersetzt.
Deutschland? Oktoberfest!
Die Arbeit hier macht wirklich Spaß. Man kocht und bäckt überwiegend, sonst natürlich auch alles andere, was zur Arbeit in der Küche dazu gehört.
Nächste Woche soll ich für alle Brezeln backen, weil Oktoberfest das erste war, was den Schweden hier zu Deutschland eingefallen ist, und da kommt man ja nicht drumherum, mal eine richtige Brezel zu essen.
Bevor der Frost alles zunichte gemacht hat, habe ich es zum Glück noch geschafft, einige Preiselbeeren zu sammeln und kann nun behaupten, meine eigene “Lingonsylt” für Ofenkäse geschaffen zu haben.
Die große Küche bietet viel Platz zum Ausprobieren, so haben wir Pilze getestet (mit 80%iger Sicherheit über die Genießbarkeit), ich hab neue Pfannkuchen kreiert, einen Schokoladenaufstrich versucht und Salate mit meinen heimischen Würzkenntnissen verfeinert.
Am Mittwoch werde ich einen sechstägigen Ausflug nach Stockholm unternehmen, wo ich mich mit dem netten Vivian Tibor Ferdinand Bär treffe und vermutlich die Uppsalaner noch mal besuchen komme.
Ich sende ganz viele liebe Grüße nach Dresden und an alle anderen, die meinen Blog lesen und freue mich über Kommentare, Fragen und Anregungen.